Eltern-Lehrer-Fragen

Feltens Pädagogische Palette

"Sind wir wahnsinnig geworden, Mütter
möglichst früh von ihren Kindern zu trennen?"
(Wolfgang Bergmann, 2010)


Ganztagsbetreute Kleinkinder - Paradiesvision, alternativlos oder riskant?

Die Familienpolitik will die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Klingt gut. Doch der Politik geht es nicht um die Familien, sondern um die Wirtschaft, findet der Journalist Rainer Stadler, im bpb-Essay von 2017
 

"Schlimmer Verdacht: Hausfrauenehe doch überlegen?

Homeoffice - Chance für Kleinkinder: "Mein Fünfjähriger profitiert von der verheerenden Corona-Pandemie." Er hatte in den vergangenen Wochen die wohl beste Zeit seines Lebens. Er ist besser gelaunt als sonst - und macht enorme Entwicklungsfortschritte ... SPIEGEL-Elternkolumne 4/2020


SWR-Feature zu Krippe & Küche: Wie viel Mama braucht das Kind? (28') hören   lesen
 

Brauchen Kleinkinder uns mehr, als wir uns wollen träumen lassen?

"Über die komplexen Verbindungen zwischen Autoren- und Elternschaft"

die ganze jW-Wochenendgeschichte 5/2020

Kostprobe 'Regenwald':
"Das Kind hat kein Problem mit dem Coronavirus. Das Kind geht sowieso nicht so gern in die Kita. Es ist schon in Ordnung da, findet das Kind, die Erzieherin ist die Beste, die Freunde sind die Besten. Aber noch lieber ist das Kind – auch wenn wir das schwer verstehen können – mit seinen langweiligen, alten Eltern zusammen."

Kostprobe 'Der Boss ruft an':
"Du brichst den Anruf so schnell wie möglich ab und gehst wieder rein. Dein Kind spielt auf dem Teppich. Es geht ihm prächtig. Du fragst, was denn so dringend gewesen sei. Nichts, erwidert die Musiklehrerin: Sie fand einfach, du wärst schon zu lange weg."


Familiäre Selbstbetreuung - kein Retrophänomen

"Kleinkinder im Bermuda-Dreieck"

Nicht über Kinder reden, sondern mit ihnen - in der Krippendebatte geschieht das jedenfalls kaum. Sie ist ein hochinteressantes Lehrstück - über Humannatur, Genderfragen und Ökonomismus. Mein Essay dazu in "Pädagogische Rundschau" (Heft 3-4/2017) hier
 

Babyförderung - eine überflüssige Störung der Primärbindung?

Elterliche Erwartungen an Frühförderung: "Dramatische Irrtümer"

Babymassage, Pekip und Babyturnen heißen die Termine der Kleinsten, später sind es Musikgarten, der Kunstkurs oder Englisch für Kita-Kinder. Kaum ein Kleinkind ist ohne Hobbys. Doch Eltern, die hoffen, ihren Nachwuchs damit zu fördern, liegen falsch, sagt Neurobiologe Prof. Dr. Ralph Dawir.   mehr

Mütter sind Revolutionäre ...

Eltern verhocken viel Zeit, am Sandkastenrand beispielsweise. 

Das mag öde wirken, ist aber in Wahrheit antikapitalistisch. Und damit echte Rebellion. So sollten das Mütter auch sehen, empfiehlt Ursula März im ZEIT-Essay von Januar 2017
 

"Bei wem ist ein Kleinkind zwischen ein und drei Jahren tagsüber am besten aufgehoben?"

In den ersten drei Lebensjahren sollten die Kinder von ihren Müttern ...

... und nicht von ErzieherInnen in der Krippe betreut werden. Das ist die Ansicht von fast zwei Dritteln der deutschen Bevölkerung. Repräsentativumfrage 2012 der TNS Emnid im Auftrag von "Chrismon"


Der historische Extremfall - angesichts der Debatte über 24-Stunden-Kitas erinnernswert

Alltag in der DDR: Die Wochenkrippenkinder

dradio 2018


Das Krippenrisiko

Kitaplätze gibt's jetzt genug - aber die Betreuungsqualität ist häufig katastrophal

Bindungsforscher und Kinderpsychiater Karl-Heinz Brisch 2014 in der ZEIT


Nicht zu früh, nicht zu viele !

Außerfamiliäre Kleinkindbetreuung nur bei höchster Qualität!

Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert 2012 in der ZEIT


Küche oder Krippe? Was wollen eigentlich die Kinder, was sagt die Forschung?

Verfrühte oder unzureichende Krippenbetreuung birgt körperliche und seelische Gesundheitsrisiken

Kinderarzt Dr. Rainer Böhm 2012 in der FAZ


Frankreichs Krippenmodell wankt

Mütter fühlen sich ihren Kindern entfremdet, Heranwachsende leiden unter Depressionen

Die ZEIT 5.9.13


► Krippenskepsis - auch im Radio

"Wie viel Mama braucht das Kind?" Plädoyer für familiäre Frühbetreuung (hören)   (lesen)

"Ab in die Krippe - ein Bärendienst?" (dradio-Kommentar)

"Zertifizierungswahn mindert Kita-Qualität" (SWR-Feature)

"Alarm aus der Kita" ... Betreuungsplätze statt Frühförderung (dradio-Feature)


► 'Abenteuer Bindung' - Stiftungsinitiative "für Kinder" hier


► Aktivitäten des früheren Familiennetzwerks hier

Exemplarisch, ausführlich - eine Kongress-Synopse von 2007

Kleinkinder brauchen viel ruhige Zugewandtheit

Überblick

Die euphorische Mediendebatte um die frühe Fremdbetreuung von Kleinkindern wird aus der Wissenschaft vorsichtig bis skeptisch kommentiert. Denn Babys benötigen viel Zeit zum Aufbau von Urvertrauen, und der zu frühe oder zu lange Besuch von Krippen kann nicht nur den Stresshormonhaushalt nachhaltig stören, sondern auch chronische Trennungsängste hervorrufen. Nach den neuesten Befunden der NICHD-Studie steigt das problematische Verhalten in Schulen im Jugendalter mit der Länge der Krippenbesuchszeit. Bildungsförderliche Effekte werden höchstens dann erzielt, wenn der Betreuuerschlüssel bei 3 - 4 Kindern liegt.

Auch die renommierte Entwicklungspsychologin Ahnert hält die besondere Qualität der mütterlichen Beziehung für unersetzlich; sie beinhalte viel ungeteilte Aufmerksamkeit für das Kind, während Erzieher eine ganze Gruppe im Auge haben müssten. Im Alter bis zu 18 Monaten erscheint außerfamiliäre Betreuung vor allem dann riskant, wenn der Betreuerschlüssel höher als 3 liegt und wenn keine Zeit für behutsame Übergangsrituale in die Kita-Gruppe besteht.

Die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung betonte jüngst in einem Memorandum zum Krippenausbau in Deutschland den hohen Wert der familiären Früherziehung. Diese Denkschrift beschreibt die Problematik unverarbeiteter Trennungserfahrungen für Klein(st)kinder (ggf. auch in der Tagesmutterbetreuung) und plädiert für ein Konzept individueller Krippenreife.

Schweden gilt zu Unrecht als Vorzeigeland in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 50% aller Einjährigen und 90% aller Zweijährigen wachsen dort tagsüber in Gruppenbetreuung auf. Damit geht nach Ansicht vieler Forscher ein hohes Maß an frühen Bindungsstörungen einher, was sich in den letzten Jahrzehnten in einer wachsenden Rate an Depressionen, Angststörungen und Suizidalität bei (vor allem weiblichen) Jugendlichen niedergeschlagen hat. Dabei würden 70% der Eltern gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen - alleine die immense Steuerquote zwingt in der Regel zum Doppelverdienertum.

Natürlich ist nicht nur zu früher bzw. nicht genügend qualifizierte Krippenbesuch riskant für die frühkindliche Entwicklung. Auch mütterliche Überbehütung/Verwöhnung, Vernachlässigung/Vereinsamung und Gewalttätigkeit stellen wichtige Risikofaktoren für gelingende Erziehung dar.

Details

1. Forschung zur Krippenfrage

Die Grundposition der Forschung lässt sich so zusammenfassen: Die liebevolle und zuverlässige Anwesenheit der „Mutter" in den ersten Lebensjahren ist es, die das Grundvertrauen eines Kindes in sich und die Welt begründet. Sie kann mit zunehmendem Alter reduziert werden, dies sollte aber nur in dem Maße geschehen, wie die Bindung vom Kind innerlich aufrecht erhalten werden kann.

So brauchen Babys nach Auffassung Richard Bowlbys in den ersten 6-9 Monaten jede Gelegenheit, um eine primäre Bindung zu einem anderen Menschen (das muss nicht die leibliche Mutter sein) überhaupt erst aufzubauen. Frühestens nach dieser Zeit wirken sich Tagesmütter nicht entwicklungshemmend aus, aber auch nur, wenn sie regelmäßige Unterstützung erfahren und nicht zur Hauptbezugsperson werden; Krippenbetreuung sollte in der Regel nicht vor 30 Monaten beginnen.
Wenn Kleinkinder Trennungen von der Mutterperson hinnehmen, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie kein Problem damit haben. Führt nämlich die spontan erste Reaktion eines Kindes auf Trennung (Strampeln und Schreien, um die Bezugsperson zu erreichen) nicht zum Erfolg, kommt es zur sog. Ablösungsreaktion (Flucht nach innen, eine oft fehlinterpretierte Notfallreaktion): Erstarren, aufgeben, sich zurückziehen; sich unproblematisch geben, ungewöhnlich fügsam und kooperativ sein.

Die jüngst veröffentlichte amerikanische  Langzeit-Feldstudie NICHD (seit 1991 wurden 1364 Kinder begleitend untersucht) hat darauf verwiesen, dass Krippenbetreuung unabhängig von deren Qualität ein erhebliches Entwicklungsrisiko für junge Menschen darstellt: Weil die Stressprozesse bei Kindern mit früher Mutterentbehrung vielfach zu inneren Abspaltungen führten, die unbewusst und von außen kaum wahrnehmbar sind. Erhöhte Krankheitsanfälligkeit in frühen Lebensjahren, beeinträchtigte Lernfähigkeit während der gesamten Schulzeit, erhöhte Straffälligkeit im Jugendalter sind nachweislich die Folge. Dagegen zeigten sich bei Fremdbetreuung durch eine (verwandte oder regelmäßige) Tagesmutter nur geringe Abweichung vom normalen Verhalten.

Die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert hält die besondere Qualität der mütterlichen Beziehung für unersetzlich; sie beinhalte viel ungeteilte Aufmerksamkeit für das Kind, während Erzieher eine ganze Gruppe im Auge haben müssten. Erst zwischen 14 und 18 Monaten entstehen Kompetenzen für die Kontakte zu anderen Kindern, diese Kontakte sind zunehmend wichtig, verlaufen aber auch oft irritierend - das ist vor allem dann riskant, wenn die Kinder bei der Verarbeitung dieser Erfahrungen auf sich gestellt sind. Die zeitweilige Abwesenheit der Mutter beeinträchtigt die kindliche Entwicklung nicht, wenn lange und sorgfältige Eingewöhnungsrituale praktiziert werden. Ein Betreuerschlüssel um 3 wäre ein guter Standard, über einen solchen verfügen wir aber in D auf absehbare Zeit nicht. Erst mit zunehmendem Alter solle das Gewähren von Sicherheit zurückgenommen werden zugunsten eines Unterstützens von Erkundungstätigkeit.

Für die Psychoanalytikerin Ann-Kathrin Scheerer ist der Aufenthalt in einer Kinderkrippe eine Stresssituation, eine aus Kindersicht nur beängstigende Notlösung; dies könne durch ein ausreichendes Maß an mütterlicher Wiedersehensfreude/Empathie/Fürsorge ausgeglichen werden, aber nur, wenn das Verhältnis Anwesenheit zu Abwesenheit stimme. Die KZ-Forschung habe gezeigt, dass ein sicher erworbenes Urvertrauen, ein ungestörtes Durchlaufen der Omnipotenzphase sowie das Erleben uneingeschränkter Objektkonstanz optimale Resilienzfaktoren für ein Kind darstellten.

Der kürzlich verstorbene Kinder- und Jugendpsychologe Wolfgang Bergmann hat im Gespräch mit der SZ darauf hingewiesen, dass nur bei sicher gebundenen Kindern keine seelischen Beschädigungen durch Krippenbetreuung zu erwarten sind; andere hingegen seien gefährdet. Aggressivität aber, die sich - als Folge von früher Mutterentbehrung - im Vorschulalter bilde, sei einer der dominierendsten und beständigsten Charakterzüge eines Kindes.

2. Aktivitäten des Familiennetzwerks Deutschland

Führende Entwicklungspsychologen verabschiedeten auf einem Kongress am 4./5. Mai 2007 den "Frankfurter Appell zum Kindeswohl":

"Der internationale Kongress vom 4./5. Mai in Frankfurt hat erneut die fundamentale Bedeutung der intensiven Mutter-Kind-Beziehung, v. a. in den ersten drei Lebensjahren bekräftigt. Die Zuverlässigkeit und Dauerhaftigkeit dieser Bindung prägt nachweislich in hohem Maße die emotionale, geistige und soziale Entwicklung für das ganze Leben. Mutterentbehrung in den ersten drei Lebensjahren gefährdet die störungsfreie Entwicklung des Kindes. Daher dürfen Eltern aus finanziellen Gründen nicht gedrängt werden, ihr unter dreijähriges Kind fremd betreuen zu lassen.
Wenn dennoch außerfamiliäre Fürsorge notwendig wird, ist der Betreuung durch eine vertraute mütterliche Tagesmutter/vater der Vorzug zu geben. Denn neueste wissenschaftliche Erkenntnisse belegen: Krippenerziehung war und ist Risikoerziehung. Wenn Krippenbetreuung unvermeidlich ist, sollte ein Betreuungsschlüssel von drei Babys/Kleinstkindern pro Erzieherin und eine mehrmonatige Eingewöhnungszeit mit der Mutter gewährleistet sein.
Wir appellieren an die Gesellschaft, Mütter und Väter in dem entscheidenden primären Bindungsprozess mit ihrem Kind zu unterstützen. Der Staat ist aufgefordert, Eltern und Kindern genügend Zeit und Geld zu belassen, bzw. zur Verfügung zu stellen, um jedem Kind die ersten drei Lebensjahre in seiner Familie zu ermöglichen.

Prof. Dr. Johannes Pechstein; Sir Richard Bowlby; Prof. Dr. Gordon Neufeld; Dr. Steve Biddulph; Prof. Dr. Theodor Hellbrügge; Prof. Dr. Thomas Schirrmacher"

3. Literaturhinweise

Psyche, Heft 2/2008: Außerfamiliäre Betreuung und frühkindliche Entwicklung – Psychoanalytische Perspektiven (Klett-Cotta)

Die "NICHD Study of Early Child Care" - ein Überblick von Martin R. Textor.
In: Kindergartenpädagogik - Online-Handbuch (http://www.kindergartenpaedagogik.de/1602.html)

Ann-Kathrin Scheerer: Krippenbetreuung: Scheitern und Gelingen. In: Psychologie heute, Heft 6/2008

Lieselotte Ahnert: Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung (Reinhardt 2004)

Wolfgang Bergmann: Halt mich fest, dann werd ich stark: Wie Kinder fühlen und lernen (Pattloch 2008)

Karl Heinz Brisch /Theodor Hellbrügge (Hrsg.): Wege zu sicheren Bindungen in Familie und Gesellschaft. Prävention, Begleitung, Beratung und Psychotherapie. (Klett-Cotta 2008)

Louann Brizendine: Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer. (Hoffmann & Campe 2007)

Jean LeCamus:  Väter. Die Bedeutung des Vaters für die psychische Entwicklung des Kindes. (Beltz 2003)

Daphne du Marneffe: Die Lust, Mutter zu sein (Piper 2005)

Sabina Pauen: Was Babys denken: Eine Geschichte des ersten Lebensjahres (Beck 2006²)

Anna Wahlgren: Kleine Kinder brauchen uns (Beltz 2006)